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Geschichte

Die Geschichte der Kemater Alm

Vor ungefähr 900 Jahren wird das Gebiet der Kemater Alm erstmals urkundlich erwähnt.

Es ist eine der ältesten Urkunden über almwirtschaftliche Dinge, die aus dem Gebiete des Inntales bekannt ist, in welcher ein Teil der Kemater Alm Erwähnung findet. Bischof Reginbert von Brixen verlieh dem Stifte Wilten im Jahre 1142 den „montem alpium Senders.“

In diesen vielen Jahren hat der wunderschöne Fleck zu Füßen der Kalkkögel die Menschen beeindruckt, geprägt und begeistert. Viele Traditionen haben sich erhalten, viel Neues ist dazugekommen, ohne den wesentlichen Charakter der Alm zu verändern. Mit dem Bau des heutigen Gastbetriebes wurde 1929 begonnen und konnte erstmals im Jahr 1931 in Betrieb gehen.

Ein Bericht aus dem Jahr 1903 – gibt einen kleinen Einblick in das einfache Leben – vor über 100 Jahren:

Aus den Kalkkögeln bei Innsbruck

von Karl Berger

 

Quelle: Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpen - Verein 1903

 

Kematneralpe - Steingrubenkogel

 

Von Kematen im Oberinntal zur Kematneralpe führen zwei Wege. Der meiner Ansicht nach schönere, der nach kurzem Gang freien Ausblick gewährt, benützt die Sellrainerstraße bis zum Eingang des Tales. Links von der Schlucht, in welcher der Bach des Sendesaales in wundervollen Wasserfällen seine Künste spielen läßt, steigt man im Waldesschatten steil hinan zur freien Ebene des Mittelgebirges. Der zweite Weg liegt östlich des hier beschriebenen. Auf der grünen Hochfläche droben stehen die Dörfer Axams, Götzens und Grinzens um ihre hohen, spitzen Kirchtürme versammelt. Hier wächst Getreide verschiedenster Art. Vielleicht 3 km im Hintergrund steigt in breiten Waldhängen, zuoberst in Mähdern, mächtig das Gebirge auf. Es ist, als ob die Berge auf diesem erhöhten Plan, mit den Ortschaften, den reinen, niedlichen Häusern, an deren Entstehung und Erhalt sie mitgeholfen, deren Bewohnern sie liebreich das Köstlichste aus den Brüsten ihrer Almen spenden, eine Schaustellung bereitet hätten. Westlich der buckeligen Sailer ist das Lizumertal, und von diesem durch einen welligen Höhenzug, durch Hoadl (Haidl) und Hochtennboden geschieden, das Senderstal senkrecht zum Inntal eingeschnitten.

 

Die Häuser sind hier durchwegs von Obstbäumen umgeben, die ihre fruchtbeladenen Arme gutmütig vor die Fenster halten. Vor den Türen stehen klotzige Männer und Buben in Hemdsärmeln, einen Rechen oder ein Beil, beschürzte Frauen und Mädchen, mehr stark und gesund als schön, frische Wäsche oder ein Schaff in den Händen. Die Wäscherei ist hier und im Sellrain ein bedeutender Erwerbszweig. Die gehobene Axt starrt in der Luft, der nach aufgehängter Wäsche gehobene Arm bleibt in seiner Lage, sobald ein *Stadtlinger* in Bergausrüstung erscheint. Unverwandt, verwundert, manchmal aus spöttisch wird ihm nachgeschaut. Von einem Bauer dieser Gegend wurde ich einmal gefragt, ob das - er zeigte auf den Eispickel - zum *Holzkliabn* gehöre. Das war wohl Ironie; alles was nicht für den unmittelbaren Erwerb gehört, ist den Bauern schwer begreiflich.

 

Am Brunnen eines großen Bauernhauses, wo der Weg eine Steinkapelle mit düsterem Blick die Gebete der Gläubigen fordert, kommt von links her eine Straße, die nach rechts über die Talfurche hinüberführt. Man folgt ihr eine kleine weile, doch nicht bis über den Bach, und steigt dann links, von zwei Lattenzäunen gelenkt, in den Wald hinauf. Zuerst geht man ziemlich hoch über dem Wasser bei einem einsamen Hof vorbei. Der Steig, von zwei Steinmauern eingezwängt, dient, ein Wässerten abzuleiten, weshalb man gescheiter über ihm im Grase geht. Doch währt dieser Übelstand nur eine Viertelstunde, bis eine Brücke rettend an das andere Gestade führt; von hier an ist`s ein gemütlicher Almweg.

 

Wieder, wie so oftmals, trat uns der zundernbewachsene Kegel, vor dem auf weiter Wiese die Hüttlein der Kemateralpe liegen, aus dem Hintergrunde des Tales entgegen. Links hinein, den Kalkkögeln entlang, wand sich das Senderstal, und dort hingen die Nebel weit auf die Halden herab. Zu anderer zeit - wir hatten damals den 4. August 1901 - wenn die Sonne ihr Blendwerk belebt in den luftigen Zacken und Wänden droben, wie in einem Schoß liebreiche Linien von den Vorbergen in die dunkle Taltiefe niedergleiten, mit Zirkeln und Zundern das hohe, glänzende Bild umrahmen, dann ist die Kematneralpe ein seltsam schöner Ort.

Ohne Entzücken geht in den Bergen selten ein trüber Tag vorüber. Hätten wir bisher vergeblich auf die graue Wand gestarrt, die alles Schöne barg, so stachen nun die steilen Seitengrate mit ihren Zähnen durch die Wolken; der Steingrubenkogel riß sein Gewand in Stücke wie ein Verzweifelter. Links von ihm - man traute seinen Augen kaum - war der Nordturm frei geworden. Als ich zum erstmal ihm nahte, hielt ich das dünne Gebilde, das scheinbar auf einem Waldrücken stand, im Abenddämmer für einen Baumstrunk; da wuchs es und wuchs es, die tiefen Scharten wurden sichtbar und endlich wurde es mir klar - ich hatte einen Berg vor mir.

 

Die dunkeln, wildumrissenen Gestalten des Hintergrundes verkündeten nichts Gutes. Wie trotzig sie sich auch gebärdeten, die eigenartigen Riesen der Höhe, bald mußten sie untergehen in der bleichen, täten Alltäglichkeit. In wenigen Minuten waren nur mehr die Alpenhütten in nächster Nähe und auch diese nur undeutlich, schattenhaft zu sehen. Kalter Wind und Regen durchdrangen die Kleidung, und doch schien gerade in dieser Ungemütlichkeit etwas unsagbar Gemütliches zu liegen, sah man auf das einschläfernde, gleichmäßige Spiel der Pfützen. Hinein jetzt in die Hütte! Am Feuer wollen wir unsere Glieder und unserem Geist erwärmen, die Senner kennen lernen, einfache Menschen, deren Weltanschauung sich in wenig Worte drängen läßt. Der Senner ist abstoßend und unwillig jenen gegenüber, die er zum erstmal sieht. Er ist keinem Gast zu Dienstbarkeit verpflichtet und stutzig geworden, weil es in unserer Zeit noch immer Leute gibt, die, aus ihrem eigenen Dasein schließend, keine Freiheit kennen, befehlend Speise und Trank verlangen. Er erzählte, unlängst habe nicht viel gefehlt, so hätte er so einem feinen Gast die nötige Wegzehrung in einer Tracht Prügel verabreicht

Nach vollbrachter Arbeit gibt es große Gesellschaft, die tätigen, genügsamen Männer sitzen auf dem riesigen Herd ums Feuer, das, als Mittelpunkt des Kreises, allen Mut und heitre Laune  zu erteilen scheint. Die beiden Fremdlinge, Emerich Sarlay und ich, wirken in keiner Weise störend; aber dennoch werden sie von einem gewissen Unbehagen ergriffen, weil sie am geschäftlichen Gespräch nicht teilhaben können und sich unwillkürlich als Müßiggänger erscheinen müssen, ehe die frische, große Bergwelt selbst ihr Nichtstun segnet. Das *Muas* ist fertig und die eßlustige Runde zieht sich damit in das Stübchen zurück; einzelne Kohlen noch und wir haben Zeit, im Dunkel über das Geschaute nachzudenken. Dem einen der Senner hatte das Leben Satire und Weltverachtung um den Mund gemeißelt, die Zunge gelähmt. Verbissen hielt er die Pfeife seitlich in den Zahnlücken und dabei starrte er in das Feuer, gleichgültig wie einer, der von der Welt nicht mehr will, als daß sie ihn in Ruhe läßt. Ein anderer hingegen war gesprächig und konnte in seiner eifrigen Weise nicht begreifen, wie oft das Einfachste, wenn es nötig sei, nicht geschehe; war er einmal für einen Gedanken eingenommen, so erklärte er ihn ein dutzendmal in derselben rohen, aber eindringliche Art. So meinte er, am Steig zum Seejöchl sollte man Stangen mit rot angestrichenen Brettchen aufstellen, weil die Markierung im Nebel bei den weitgedehnten Hügeln und Mulden gar nichts nütze, und er hatte recht. Nun hat sich sein Gedanke bereits verwirklicht.

 

Bis zur Hütte, die unser Nachtlager barg, dehnten sich tiefe Mistlachen; gerne ließ sich meine Phantasie vom lügenhaften Laternenschein in eine venezianische Mondnacht führen. *Himmlisches Venedig*! Ehrfurchtsvoll versinke ich in die Schauer deines geweihten Bodens! Und da war ich schon versunken, wollte das Hindernis kühn überschreiten und trat auch mit dem zweiten Fuß in in welche Brühe. Im unteren Teil der Hütte lag das Vieh im angenehmsten Schlaf; erschreckt, laut schellend sprang es auf, als die Störenfriede hereinbrachen. Durch ein viereckiges Loch stiegen wir in anregender Kletterei zum Dachboden hinauf. Die bretter unseres Lagers waren so wackelig, daß wir jeden Augenblick fürchteten, auf die Kuhrücken hinabzuprasseln. Armes Vieh, nirgends bist du sicher vor nächtlicher Ruhestörung, nicht einmal auf der Alpe, wo es keine Polizei gibt.* Müaßt`s önk`s halt kommod mach`n*! Mit diesen Worten verließ uns der Senner. Wir nannten ihn im Geist einen Weichling und einen Feigling, der es, bald von warmen Schafpelzen bedeckt, leicht habe, unsere elende Lage zu verhöhnen. Wir suchten die wenigen Hände voll Heu zusammen, die gerade hinreichten, den hartherzigen Bretterboden etwas zu besänftigen. Als Decken blieben uns Röcke. Gemütlich ist`s, unter Dach dem Regen zuzuhören. Auf meinen Rock aber tropfte es regelmäßig herab; so gewann ich eine Uhr, deren peinlichster Fehler darin lag, daß sie mehr das Verweilen als das Fortschreiten der Zeit anzeigte. Zudem hatte eine Kuh scheinbar kindische Freude am Glockenspiel und schellte die ganze Nacht wie besessen. Bei Tagesgrauen rauschte der Regen ein wonniges Schlummerlied mit dem Leitmotiv *Bleib liegen*! An der Stirnseite des Dachbodens war eine Tür, die ihren Rahmen nach oben hin nicht erfüllte; als ich, über die Brustwehr unseres *Balkons* gebeugt, nach dem Wetter sah, war alles Erhabene wie unter den Urnebel, die einst die Erde umhüllten, vergangen. Die Kälte hatte nachgelassen und nun wurde es erst behaglich. Auf einem Milcheimer trommelnd ging ein Senner vorbei und zerriß uns auf solche Art die schlafsüchtigen Ohren. Unwillig wälzten wir uns auf die andere Seite und empfanden lebhaft, wie ein Rohrer Scherz das träumende Gemüt verletzen, das lärmende Leben rücksichtslos die schönsten Empfindungen, sogar die unschuldige Freude des Nichtsdun rädern kann.Wie gerne hätten wir den Trommler als Trommel benützt, wäre der günstige Erfolg sicher gewesen und unsere Ruhe dabei nicht aufs ärgste bedroht worden!

 

Gegen 9 Uhr war an Schlaf nimmer zu denken. Die Senner, die manchmal mit dem Vieh schelten und fluchen, als wäre es ihresgleichen, waren bei voller Arbeit; wo so viele Stimmen an den Tag gemahnten, ließ uns das Gewissen keine Ruhe mehr. Der Regen war vergangen, ein Zeichen, daß die Nebel vielleicht nur mehr als Überbleibsel der Wetternacht am Gebirge hingen. Die Wolkendecke war nun gegen Norden waagrecht abgeschnitten; aus der Kerbe des Hochtals schaute das blausonnige Inntal herauf; an den südlich warm gefärbten Felsköpfen über Zirl leuchtete die Ruine Fragenstein wie im Glanz der Vorzeit.

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